10. Dezember 2001

TIBET INFORMATION NETWORK

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Tod eines Mönches nach Misshandlung im Polizeigewahrsam

Ein Mönch Anfang zwanzig aus dem Kloster Labrang in Nordosttibet starb infolge der während einer kurzen Haft erlittenen Mißhandlung. Der Mönch Kelsang Gyatso wurde zusammen mit einer großen Gruppe von Tibetern inhaftiert, die alle nach Nepal zu entkommen suchten. Am Tag nach der Festnahme begann er unter heftigen Kopfschmerzen, Inkontinenz und Erbrechen zu leiden und konnte bald nicht mehr ohne fremde Hilfe gehen, aber er erhielt keine angemessene ärztliche Behandlung. Kelsang Gyatso wurde entlassen, ohne daß seine Familie und Freunde über seinen Aufenthaltsort informiert worden wären. Als seine Verwandten schließlich von seinem Tod erfuhren, mußten sie noch für die Aufbewahrung seines Leichnams in der Leichenhalle zahlen und ihn zum Platz der Himmelsbestattung bringen.

Ein enger Freund von Kelsang Gyatso, der dieses Jahr ins Exil floh, erzählte: "Er war einer der Cham Tänzer (traditioneller Mönchstanz) im Kloster Labrang und ein fleißiger und begeisterter Schüler. Er war sehr stark und spielte gerne Basketball. Er verfaßte auch gerne Artikel, wobei er schöne Formulierungen benutzte, und öfters schrieb er über bedeutende Themen. Er war eine beeindruckende Persönlichkeit".

Kelsang Gyatso wurde im August zusammen mit etwa 20 weiteren Tibetern festgenommen, die alle über Nepal nach Indien entkommen wollten. Die Polizei stellte die Gruppe in der Nähe der Brücke von Chushur (chin. Chusui), der ersten größeren Stadt an der Straße von Lhasa nach Shigatse. Ein Tibeter, dem später die Flucht gelang, erwähnte TIN gegenüber: "Wir fuhren mit normalen Bussen nach Shigatse. Drei Polizeiautos mit Blinklicht kamen bei der Brücke von Chushur aus der entgegengesetzten Richtung entgegen, hielten die Busse an und fragten alle Passagiere, woher sie kämen. Alle, die wir sagten, wir kämen aus Amdo (das traditionelle Gebiet Tibets, das jetzt in die chinesischen Provinzen Qinghai und Gansu integriert ist), mußten aussteigen. Die Polizeibeamten durchsuchten uns und nahmen uns alles Geld weg, das wir besaßen. Sie fesselten uns die Hände auf dem Rücken und transportierten uns dann in den Polizeiwagen ab."

Ein zweiter Tibeter, ebenfalls aus dieser Gruppe, erzählte, mehrere Tibeter seien am Straßenrand geschlagen worden, wobei die Polizisten ihnen die Köpfe gegen die Fahrzeuge schmetterten. Er sagte: "Ich sah zwar nicht, wie Kelsang geschlagen wurde, aber er war in der Gruppe der Mißhandelten. Meine Nase blutete und mein Kopf wurde verletzt, als sie ihn gegen das Fahrzeug prellten." Die Festgenommenen wurden in die Jebumgang Polizeistation in der Nähe des Barkhors in Lhasa gebracht, wo sie 5 Tage eingesperrt und vernommen wurden, warum sie zu fliehen versuchten und wer ihr guide war. Der jetzt im Exil befindliche Tibeter erzählte: "Als wir in Jebumgang waren, konnte Kelsang nichts essen und meinte, er sei sehr krank. Er sagte nur, er habe Kopfschmerzen, sonst sprach er kaum etwas. In diesen 4 bis 5 Tagen wurden wir alle wiederholt mißhandelt". Ein anderer Tibeter aus der Gruppe hörte, wie Kelsang Gyatso einem höheren Beamten in der Polizeistation auf dessen Fragen erklärte, daß er vor seiner Verhaftung nicht krank gewesen sei und erst am Tag der Festnahme Kopfschmerzen bekommen hätte. Zu diesem Zeitpunkt konnte Kelsang noch normal sprechen, aber seine Augäpfel waren nach oben verdreht und er schien sehr schwach. Soweit dem Tibeter bekannt, erhielt Kelsang in Jebumgang keine medizinische Behandlung.

Die Gruppe von Tibetern, einschließlich Kelsang Gyatso, wurde nach fünf Tagen in das Haupt-PSB-Haftzentrum in Lhasa, Gutsa, verlegt, wo die meisten 15 bis 17 Tage eingesperrt blieben, ehe sie entlassen wurden. Ein dritter Tibeter aus der Gruppe, der in Gutsa die Zelle mit Kelsang Gyatso teilte und der inzwischen Tibet verließ, sagte: "In Gutsa hatte er hohes Fieber, er aß nichts und erbrach sich. Wir erklärten den Aufsehern, daß er krank sei, und sie sich um ihn zu kümmern sollten. Sie gaben ihm dann etwas Medizin gegen Hepatitis, schickten ihm aber keinen Arzt. Sie sagten, nach dieser Arznei würde es ihm besser gehen, aber statt dessen verschlechterte sich sein Zustand und er wurde 8 Tage so liegen gelassen - in den letzten 3 Tagen konnte er nicht mehr sprechen". Die anderen Tibeter wurden in Gutsa weiterhin vernommen, warum sie nach Indien fliehen wollten, wie einer von ihnen berichtete: "Als ein anderer von uns vernommen wurde, hielt sich Kelsang in dem Verhörzimmer an der Wand aufrecht. Speichel rann aus seinem Mund, sein Gesicht war verschwollen und plötzlich fiel er über den Tisch der Offiziellen. Ich legte ihn auf den Boden, und er versuchte wieder aufzustehen. Wir wurden in unsere Zellen zurückgebracht. Die Vernehmer erklärten, sie würden Kelsang ins Krankenhaus bringen".

Einige der mit Kelsang festgenommenen Tibeter (die jetzt im Exil sind) suchten nach ihm, nachdem sie frei waren, und stellten fest, daß er nicht ins Krankenhaus gebracht worden war, sondern mit etwas Geld aus dem Gefängnis entlassen und in einem Feld in der Nähe der Haftanstalt liegen gelassen wurde. Er soll ins Krankenhaus gebracht worden sein, nachdem ihn jemand gefunden hatte, der in der Nähe wohnte, aber er starb einige Tage später. Als seine Familie von seinem Schicksal erfuhr, mußte sie noch für die Behandlung in dem Hospital und für den Transport seines Körpers von der Leichenhalle zur Himmelsbestattung aufkommen. Diejenigen, die seinen Leichnam während der Himmelsbestattung gesehen hatten, sollen die Bemerkung gemacht haben, daß "Blut im Gehirn" war (auf Tibetisch klad kharg 'brel), was nach Aussage eines tibetischen Mediziners in England in der medizinischen Fachsprache des Westens in etwa einer zerebralen Hämorrhagie entsprechen würde. Heftige Schläge auf den Kopf können Hirnblutung hervorrufen, d.h., wenn Blutgefäße im Gehirn platzen oder aus ihnen Blut in andere Teile des Schädels aussickert. Ein westlicher Spezialist für Kopfverletzungen erklärte TIN, nach der Art und Weise der Mißhandlung und Kelsang Gyatsos Symptomen im Gewahrsam zu schließen, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß Mißhandlung ein Faktor gewesen sein könnte, der zu seinem Tod führte. Gehirnblutungen können, wenn rechtzeitig erkannt, gewöhnlich durch einen chirurgischen Eingriff erfolgreich behandelt werden.

Kelsang Gyatso, dessen Eltern Nomaden in der Gemeinde Sangchu (chin. Xiahe) in der Provinz Gansu sind und der das älteste von drei Geschwistern ist, wurde mit 6 Jahren Novize im Kloster Labrang Tashikyil in der Kanlho TAP (chin. Gannan) in Gansu (zwei Photos von Kelsang Gyatso als junger Novize finden sich unter www.tibetinfo.net/reports/kelsang-gyatso.htm).

Einer seiner engen Freude, der kürzlich im Exil eintraf, erwähnte TIN gegenüber: "Wir machten oft unsere Hausaufgaben im Kloster zusammen. Er studierte nur Tibetisch, während ich Chinesisch und alle anderen Dinge lernte, die uns aufgegeben waren. Er lernte sehr gerne und pflegte sehr früh aufzustehen und mit seinen Studien zu beginnen. Er betätigte sich auch gerne sportlich. Manchmal ging er zur Ertüchtigung auf und ab, indem er einen Wassereimer auf seinen Armen balancierte. Als ich beschloß, nach Indien zu reisen, sagte er, er würde für meine sichere Reise beten. Und er fügte hinzu, er würde auch bald kommen, falls es ihm möglich sei. Ein anderer Freund Kelsangs, nun ebenfalls im Exil, sagte: "Ich weiß nicht, was sein Hauptziel war, ins Exil zu fliehen. Aber er pflegte zu sagen, man könne Erfahrung sammeln und sein Verständnis hinsichtlich der Schwierigkeiten und des Wohlergehens der Leute erweitern, indem man viele verschiedene Orte bereise. Er wollte etwas erreichen, um anderen nützlich zu sein".

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